BORDEAUX 2022 – der neue Jahrgang
ein ganz persönlicher Reisebericht
Wenn ich/wir im April in die Bordeaux-Region zur Vorstellung eines neuen Jahrgangs reisen, ist es wichtig festzuhalten: es geht immer um „Rohware“, um unfertige Weine, die noch mehr als 15 Monate Reife und Verfeinerung vor sich haben. Alle stets subjektive Urteile zu diesem Zeitpunkt beinhalten immer auch Spekulation, Hoffnung und mögliche Enttäuschung – auch wenn sich die Bewertungen in der Fachpresse manchmal gar nicht so lesen.
Im Folgenden möchte ich einen kleinen Einblick in den Ablauf meiner Reise geben, wobei nicht die einzelnen Weine und ihre Punktzahlen im Vordergrund stehen, sondern es geht um Ablauf, Planung, Übernachtungsmöglichkeiten und um Essen und Trinken.
1. Tag: Anreise per Flugzeug (ja, das muss leider sein) und nach Übernahme des Mietwagens haben wir bereits um 14 h eine Verabredung am Rand von Bordeaux bei einem unserer Handelshäuser vor Ort. Hier geht es allerdings erst mal um ältere Jahrgänge aus dem aktuellen Sortiment für eine baldige Bestellung. Am Ende dann für mich die ersten 22er: tolle Farbe, tiefe Frucht, vielversprechend.
Dann besuche ich Brigitte Bourlon-Destouet auf ihrem CHATEAU GUIBEAU, vielen von Ihnen ja ein Begriff. Ich muss mich erst wieder an das Kosten des Rohstoffs gewöhnen. Neben saftiger Frucht und schönem Trinkfluss finden sich auch Ecken und Kanten, Biss und Tannin – ein gutes Zeichen für einen Wein in diesem Stadium.
Da wir später noch direkt in ST. EMILION übernachten werden, haben wir für die 1. Nacht ein Zimmer in einem kleinen Weingut in MONTAGNE genommen. Auch, weil es hier 2 nette Restaurants gibt, mit dem Vorteil, das Auto dann abends stehen lassen zu können. In der Region gibt es viele, auch noble Unterkünfte auf den Chateau, aber eben häufig ohne Restaurant.
CHATEAU CROIX BEAUSEJOUR, Montage-St. Emilion. Nette, einfache Zimmer (ca. 85,-) – Möglichkeit zur Weinprobe – Restaurants in ca. 400 m Entfernung. www.croixbeausejour.com
2. Tag: Es wird spannend. Wir haben drei Termine bei hervorragenden Weingütern im St. Emilion.
CHATEAU BOUTISSE. Aufstrebendes, reines Familienweingut mit Vertrieb einiger befreundeter Winzer. Soeben in die Kategorie der „Grand Cru Classé“ aufgestiegen. Da dieser Wein nur direkt vertrieben wird, müssen wir die Bezugsbedingungen für uns abklären.
Der Inhaber Marc Milhade führt uns durch Weinberge und Keller (s. Foto). Seit 2 Jahren läuft die Umstellung auf ökologischen Weinbau. Ich bin beeindruckt mit welchem Engagement und Unaufgeregtheit hier ein toller Wein entsteht, der wohl auch noch zu den günstigsten „Cru Classé“ zählt. Wenn das so bleibt, werden wir nach dem 21er auch den 22er einkaufen. Mittagspause:
Das RELAIS DE GASCOGNE liegt nur wenige km südlich an der Hauptstraße. Es gibt sie noch die Fernfahrer-Bistros. Ordentliches Mittagsmenü für 16,50 €. Es ist trubelig und wir finden einen Platz zwischen einer SeniorInnen-Feier (mit Gesang!), Radlern und Brummi-Fahrern. Fühle mich an meine ersten Frankreich-Urlaube erinnert.
CHATEAU DE PRESSAC. Das ist schon eine der besten Adressen mit großartigen Weinen. „Schlossherr“ Jean-Francois Quenin führt uns lange durchs Weingut und wir lernen viel über die Geschichte, die Reben und die speziellen Böden auf dem sog. Plateau. Gerade im trockenen Sommer 2022 war es bedeutend, dass tief wurzelnde Rebstöcke an die Wasserreserven gelangen konnten. Tolle Weine der letzten Jahrgänge und ich entdecke begeistert die großartige Qualität des 2.Weines namens TOUR DE PRESSAC, der preislich deutlich günstiger als der Erstwein sein wird. Augen auf!
CHATEAU TROPLONG MONDOT: Jetzt wird’s zum Abschluss nobel. Alles modern, bestens gepflegt und professionell. Das eigene Restaurant gilt als das beste der Region (aber heute mögen wir es lieber bodenständig). Und auch die beiden probierten 22er-Weine – Troplong-Mondot und Mondot (s. Foto) gehören sicher zum besten, was ich auf dieser Fahrt probieren konnte. Die Gleichzeitigkeit von Kraft und Eleganz, von Schwere und Leichtigkeit, von Frucht, Tannin und Länge war beeindruckend. Ein schon jetzt sinnlicher Genuss. Allerdings auch preislich sehr anspruchsvoll.
Es waren zwei ereignisreiche, lehrreiche Tage. Soviel neue Eindrücke, soviel Informationen, soviel Gespräche. Wir ziehen uns für zwei Nächte ins Perigord zurück
3. + 4. Tag: Geschäftlich geht es um die Suche nach einem neuen Weingut im Bergerac. Ansonsten um die Aufarbeitung der letzten Tage und die Vorbereitung auf die kommenden Proben. Und wir haben ein kleines, familiär geführtes Hotel-Restaurant gefunden, ganz ruhig direkt an der Dordogne gelegen. Ideal zum Ausspannen:
HOTEL-RESTAURANT COTÉ RIVAGE, Badefols sur Dordogne. Nett eingerichtetes Zimmer mit Blick auf den Fluss (ca. 80,- € o.Frühst.). Kleines Restaurant mit schöner Terrasse und Garten. Ruhig, direkt am Fluss. Die Menü-Auswahl dürfte in der Saison sicher etwas abwechslungsreicher ausfallen.
Der Ort selbst bieten eigentlich nichts. Aber es sind nur wenige km nach TRÉMOLAT mit weiteren Bistros und Restaurant (Sterne!). Und die Lage ist günstig für die Erkundung des Perigord oder auch der Weinbauregion Bergerac.
Es geht zurück nach SAINT EMILION und zu einer sonntäglichen (!) Weinprobe eines weiteren, uns noch nicht bekannten Handelshauses im Pomerol-Gebiet. Auf CHATEAU DE FERRAND machen wir Bekanntschaft mit vielen mir noch unbekannten und einigen vertrauten Weinen des neuen Jahrgangs – es sind so ca. 50 Weine , über die ich mir kurze Notizen mache. Es verfestigt sich der Eindruck: intensive Farbe, dezentes Aroma, üppige Frucht, sehr saftiger Charakter und vielleicht manchmal etwas zu wenig strukturierte Länge. Aber kein Wein liegt wirklich daneben.
5. + 6. Tag: Auch wenn SAINT EMILION mittlerweile ein touristischer Super-Magnet geworden ist und an urbanem Charme immer mehr einbüßt, so ist dieser Ort für mich doch ein Muss. Im Stadtgebiet und in kurzer Entfernung finden die meisten Weinproben der verschieden Verbände und Organisationen statt. Deswegen bin ich ja hier.
APPARTEMENT ST. EMILION in der Rue de Jurat. Hier übernachte ich seit vielen Jahren gerne, denn die Lage inmitten der Altstadt ist ideal und Inhaber Arnould Rietmann (Belgier) hat direkt am Haus einen kleinen Gästeparkplatz – unbezahlbar in St. Emilion! Er bietet Unterkünfte und Zimmer in verschiedenen Größen an. Die App. mit kleiner Küchenzeile ermöglichen eine eigenständige Versorgung – zumindest zum Frühstück. (2 Personen ca. 120,- €) www.appartementsaintemilion.com
Alternativ ist auch die AUBERGE DE LA COMMANDERIE mit modernen Zimmer interessant.
Der 5. Tag beginnt für mich – traditionell – mit einer Probe in der MARIE POMEROL Hier stehen ca. 80 Weine der Region zur freien Verkostung. Natürlich probiere ich nicht alle Weine, denn ich habe eine Einschätzung von Vertriebsweg, Preis und Qualität, nach der ich auswähle. Aber es ergibt sich ein repräsentativer Querschnitt und der ist ein wenig enttäuschend. Sollte es dem Merlot hier nicht gut ergangen sein ….?
CHATEAU LA DOMINIQUE: Hier präsentiert der Weinberater M. Rolland die Weine (ca. 120), an deren Entstehung er beratend mitgewirkt hat – aus ganz Bordeaux. Tolle Probe. Ich konzentriere mich auf die Weine vom anderen Ufer (Medoc), da es dort später weniger Probiermöglichkeiten gibt. Und bin überrascht von der hervorstechenden Qualität eines alten Bekannten: CHATEAU BOURNAC. Dazu später mehr.
Auf CHATEAU MONTLABERT stellen die ca. 120 Mitglieder des „Grand Cercle“ ihren 2022er vor. Wie schön, dass wir hier auch zum Mittagessen eingeladen sind. Eine willkommene Pause mit köstlichem Essen. Danach wird wieder probiert, allerdings nur eine Auswahl von ca. 35 Weinen. Rückfahrt und kurzes Schläfchen. Jetzt bleibt das Auto stehen.
Im SALLE DES DOMINICAINS in der Kirche von St. Emilion ist wie immer eine riesige Probe aufgebaut (s. Foto). Ich schätze ca. 300 Weine. Das verwirrt und ich mache mir hier immer einen genauen Plan mit Schwerpunkten. Heute Lalande-de-Pomerol und die „kleinen“ St. Emilions, sowie einige Weine aus Fronsac.
Das Wetter ist gerade noch so angenehm, dass es im Kloster-Garten der Sektkellerei Les Cordeliers zu einem kühlen Abschluss-Crémant reicht.
An Tag 6 liegt mein Schwerpunkt nach einer erneuten Pomerol-Verkostung im CHATEAU BEAUREGARD auf den hochwertigen St. Emilion-Weinen. Verschiedene Verbände präsentieren die Weine ihrer Mitglieder u.a. mit Proben auf CHATEAU TOUR FIGEAC, CHATEAU VILLEMAURINE und CHATEAU VALANDREAUD. Es gibt einige begeisternde Weine und die Gewissheit, dass DE PRESSAC (s.o.) sicher zu den Besten gehört.
Ein ziemliches Mamutprogramm, das seinen Abschluss erneut im SALLE DES DOMINICAINS findet. Auf Grund der großen Anzahl, bietet sich hier die Gelegenheit nochmal einzelne Wein erneut zu verkosten, um Urteile zu bestätigen oder zu verwerfen. Aber langsam ermüdet der Gaumen und ich freue mich auf ein „Reparatur-Bier“ in der Bar-Tabac auf dem Weg.
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Kleiner Exkurs: Weinprobieren heißt nicht Trinken sondern Sehen, Riechen und Schmecken. Letzteres erfolgt nur in der Mundhöhle. Dann leider spucken und nicht schlucken. So kann man – ohne trunken zu werden – tatsächlich eine große Zahl von Weinen probieren.
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7. Tag. Es geht auf die andere Seite der Gironde ins Medoc. Heute stehen 2 Proben der UGCB (Union des Grands Crus de Bordeaux) auf dem Programm. Auf CHATEAU LASCOMBES stehen die besten Weine der Appelation Margaux bereit. (Mein Tipp: Chateau du Tertre) und auf CHATEAU BEYCHEVELLE können wir die Grand Crus aus St. Julien, Listrac und Moulis probieren. Mein Eindruck des Jahrgangs bestätigt sich: sehr homogen, auf hohem Niveau, viele Weine schon jetzt genussvoll, es gibt keine Ausreißer nach unten – nur manchmal fällt es mir schwer den speziellen Charakter einzelner Weine voneinander abzugrenzen.
Übernachtung. Mein traditioneller Stützpunkt in Pauillac (Hotel France & Angleterre) wird zur Zeit umgebaut aber mit unserer neuen Entdeckung weiter im Nord-Westen in St. Christoly sind wir sehr zufrieden:
LA MAISON DU DOUANIER. Ein nettes, kleines Hotel mit Restaurant am kleinen „Hafen“ direkt an der Gironde. Wir hatten ein modernes Eckzimmer im schönem Blick (120,- € mit franz. Frühstück). Im Sommer muss es ein großes Vergnügen sein auf der schönen Terrasse zu sitzen. (www. lamaisondudouanier.com)
Heute ist der 8. Tag und wir entschließen uns, das in der Nähe gelegene CHATEAU BOURNAC zu besuchen, dessen Wein uns am 5. Tag so gut gefallen hat. Kein schmuckes Chateau, sondern ein einfaches Landgut, geleitet von dem sympathischen Winzer Thibaud Secret. Trotz kleiner sprachlicher Hemmnisse werden wir uns schnell einig und mein erster Kauf eines Bordeaux Jahrgangs 2022 ist perfekt! Ich glaube, wir haben da eine echte Perle entdeckt.
CHATEAU LYNCH-BAGES. Probe der UGCB mit Weinen aus dem nördl. Medoc und Pauillac. Für mich eine der hochwertigsten Verkostungen mit Top-Weinen, allerdings eben auch zu Top-Preisen. Ich bin sehr angetan von CHATEAU GRAND-PUY-DUCASSE und hoffe auf einen für uns erschwinglichen Preis.
Für den Besuch der Weinbauregionen Blaye und Bourg auf der anderen Flussseite nehmen wir die Fähre von Lamarque nach Blaye mit einer guten Gelegenheit für eine Mittagsrast am Fähranleger von Lamarque.
Trotz Besitzerwechsel und Renovierung hat das „LA RIVE MEDOCAINE“ seine ursprüngliche Einfachheit bewahrt. Man sitzt geschützt im Wintergarten oder auf der kleinen Freiterrasse und bekommt ein solides Mittagsmenü für 14 – 16,- €. So kann man die Zeit bis zur Abfahrt der Fähre sehr nett überbrücken.
Zur Übernachtung in dem von seiner Festung geprägten Städtchen BOURG haben wir durch Zufall ein prima Appartement entdeckt, dass auch für eine Nacht zu buchen ist.
Integriert in die alten Festungsanlagen mit Terrasse und freiem Blick über Teile der Stadt zum Fluss (s. Foto), bewohnt man 2 Etagen mit modern ausgestatteter Küche und separatem Schlafzimmer. Und wen die Glastür zum Bad nicht stört … . Mit abgepackten Kleinigkeiter für ein Frühstück a 90,- €. (contact@lesgitesdevirginie.fr / auch über booking.com)
Am 9. und letzten Tag unserer Reise, geht es zurück nach Bordeaux zu einer umfangreichen Probe bei unserem langjährigen Partner LDVins. Natürlich probiere ich nicht die ca. 200 angestellten Weine (s. Foto unten). Aber es ist eine gute Gelegenheit einige Lücken zu schließen und besonders um bestimmte Weine noch einmal nach zu probieren. Ein sehr schöner Abschluss unserer Reise in die Welt des Bordeaux-Jahrgangs 2022 – zumal es dann noch ein kleines Picknick am Ufer mit Blick auf die Silhouette der Stadt gibt.
Ein Fazit nach 20 Stationen und ca. 500 verkosteten Weinen: Der Jahrgang 2022 ist sicher als hochwertig, ja groß und homogen zu betrachten. Tolle Farbausbeute, viel Tiefe, dunkle Frucht und geschmeidiges Tannin bei Klarheit und Frische – was erstaunt, nach einem heißen Sommer und einem komplizierten Witterungsverlauf bis zur Lese. Mir persönlich haben die vom Cabernet geprägten Weine oft besser gefallen (z.b. Pauillac) als die vom Merlot geprägten auf der rechten Seite. (z.B. Pomerol). Allerdings gibt es gerade auch unter den St. Emilions großartige Tropfen. Fehlkäufe sind bei diesem Jahr fast ausgeschlossen. Nun kommen die Weingütern so langsam mit Ihren Preisvorstellungen auf den Markt, und ich bin gespannt, ob es gelingt abseits der ganz großen Namen einige Preis-Genuss-Highlights einzukaufen.